Die besten 7

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Wenn ich nun überlege, welche Bücher in den vergangenen 13 Jahren ich als Buchhändler entdecken konnte und weiterempfehlen durfte, fallen mir diese 7 modernen Klassiker ein:

  • Eugène Dabit: Hôtel du Nord
  • Leonid Dobycin: Die Erzählungen
  • Guido Morselli: Dissipatio humani generis
  • Cesare Pavese: Das Haus auf dem Hügel
  • Frans Eemil Sillanpää: Hiltu und Ragnar
  • Betty Smith: Ein Baum wächst in Brooklyn
  • Tarjei Vesaas: Der Keim

An Kleists Todestag

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Heute besuche ich das Grab von Henriette Vogel und Heinrich von Kleist am Kleinen Wannsee; zur Mittagsstunde ist es in das Sonnenlicht getaucht.

Im Regionalexpress Richtung Wannsee ruft jemand „leselieber“! Es stellt sich heraus, dass in dem Zug ein Herr aus Friedrichshagen reist, der mich als den Buchhändler erkannt hat. Was denn mit meiner Buchhandlung sei? Die Firma existiere noch, erwidere ich, vielleicht komme noch einmal ein Frühling, an dem ich ein kleines Ladengeschäft eröffnen werde …

Ob wohl eine Buchhandlung wie in der alten Zeit, als das Internet noch nicht Alles verseucht hat, ein Publikum finden könne? Wenn ich an mein großes Geschäft in der Bölschestraße 79 denke, muss ich mir eingestehen, dass ich sie ohne Zugeständnisse an den viralen Massengeschmack nicht erfolgreich hätte betreiben können. Das Werk Heinrich von Kleists blieb nahezu unberührt im Regal stehen.

Bekanntlich entspricht der Erfolg nicht der Leistung. Bestseller zu verbreiten ist es nicht, was ich geleistet habe, sondern Menschen für die oftmals schmalen, daher intensiven Werke von Autoren zu begeistern, die sie in meiner Buchhandlung erst entdeckten; ich nenne hier die bereits verstorbenen Dabit, Jabès, Jaccottet, Perec, Valéry.

Die Pointe meines heutigen kleinen Aufsatzes ist es, dass ich zum Schluss ausschließlich französische Autoren erwähne. Sollte dieser Aufsatz ein Gedenkblatt für Heinrich von Kleist zu seinem Todestag sein, so muss daran erinnert werden, dass der Preuße alles Französische mit leidenschaftlichem Hass überzog.

Vergnügungen

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Die Farben des Herbstes

Die Gesichter der Wolken

Die Kohlmeisen auf meinem Balkon

Der Junge beißt in eine Mohrrübe

Das Mädchen schenkt mir ein kleines Pferd

Das Beethovenkonzert in der Philharmonie

Das Brechtgedicht

Die Tasse Tee

Die Stille

Der Schlaf

Themen des Lebens

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Ich lese in den hundert Jahre alten Tagebüchern von Virginia Woolf (1925-1930, S. Fischer, 39 Euro) und diese Lektüre schreckt mich auf.

Zwar steht da die Ahnung eines freundschaftlich gelingenden Lebens: Es „liegt darin, dass unser Schatz verborgen ist; oder richtiger, in so gewöhnlichen Dingen steckt, dass nichts an ihn rühren kann. Das heißt, wenn man es genießt, mit dem Bus nach Richmond zu fahren, in der Anlage zu sitzen & zu rauchen, die Briefe aus dem Briefkasten zu nehmen, einen Brief zu öffnen, sich nach dem Dinner hinzusetzen, nebeneinander, & zu fragen ‚Bist du in deinem Stall, Bruder?‘ – nun, was kann dieses Glück trüben?“

Dann aber doch die dauernde Sehnsucht nach einer „Entdeckung“, die das Leben umstürzen würde. Virginia Woolf verfügt über eine große Leidensfähigkeit und erklärt diese zum Erkenntnisinstrument. Sie fragt sich, ob es einen Menschen geben könne, der es ihr im Leiden gleichtun könnte, und begibt sich dann immer wieder in den Wahn, in ihrem Leiden das abstrakte Leid der Welt auf sich zu nehmen, um sich dem konkreten mitmenschlichen zu verschließen.

„Die Gewohnheit, Wände aufzuziehen, ist so verbreitet, dass sie uns wahrscheinlich vor dem Wahnsinn bewahrt. Wenn wir dieses Mittel nicht hätten, die Menschen von unserem Mitgefühl auszuschließen, würden wir uns, vielleicht, völlig auflösen. Getrenntheit wäre unmöglich. Aber die Wände gibt es im Übermaß; nicht das Mitgefühl.“

Eine verbreitete Sucht ist die Selbstsucht; in einem gewissen Sinn ist sie lebensdienlich. Kolonnen von Sachbüchern empfehlen „Selbstachtung“, „Selbstfürsorge“, „Selbstliebe“, „Selbstwirksamkeit“, um der Überforderung durch die großen Menschheitsprobleme zu begegnen. Die Blaumeisen auf der Birke vor meinem Fenster sind mir zur Freude da, also will ich mit ihnen von der Existenz der industriellen Vogelmast- und Vogeltötungsanstalten nichts wissen.

Die Sucht: Nicholson Baker, den ich mir auch nicht als einen glücklichen Menschen vorstelle, schreibt in seinem Erstlingswerk „Rolltreppe“ (Rowohlt, vergriffen): „In Maßen genossen, können Substanzen, die das Nervengewebe schädigen, wie etwa Alkohol, die Intelligenz fördern. Nach so einer Giftnacht wacht das Gehirn morgens auf und sagt: ‚Nein, es ist mir scheißegal, wer die Süßkartoffel in Nordamerika eingeführt hat.‘ Das Gefühl, dümmer zu sein als vorher, erweckt in einem dann schließlich Interesse an den wirklich komplexen Themen des Lebens: am Wandel, an der Erfahrung, an der Art, wie andere sich mit Enttäuschungen und beschränkter Begabung abgefunden haben. Einzelne Vorstellungen werden ebenso wie die Verbindungen, über die sie laufen, verletzt. Während sie zerlegt und erinnert, beschädigt, vergessen, und später wieder aufpoliert werden, werden sie auch subtiler, hierarchischer, mit halbverschütteten Einzelheiten untermauert. Wenn sie einen Schaden davontragen, regenerieren sie sich mehr als Teil des Ichs und weniger als Teil eines aufgepfropften Systems.“

Wir müssen die spezielle Färbung unserer Angst als lebensnotwendig anerkennen; wollten wir sie (durch die aufregende Medienproduktion befeuert) in dem überwältigenden Grau von Klimakrise, Krieg und Künstlicher Intelligenz aufheben, lähmten wir uns und würden handlungsunfähig.

Noch einmal Virginia Woolf: „Was ich vermisse ist Farbe, Energie, irgendeine klare Reflexion des Augenblicks. Ich sehe diese dicken Strümpfe & grauen haarigen Umhänge überall.“

Ich fotografiere nicht

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Einen Fotoapparat besaß ich nie. Die Bilder, die sich mir einprägten, behielt ich im Kopf.

Die einzigen Urlaubsfotos, die ich (wie man im Zeitalter der „analogen“ Fotografie sagte:) schoss, kamen dadurch zustande, dass mich das eine und andere Menschenpaar an der Spanischen Treppe in Rom oder dem Wiener Parlament mit der Bitte ansprach, ich möge sie vor dem einen oder anderen Denkmalshintergrund ablichten.

Aus unserer Gegenwart ist die Fotografiererei nicht wegzudenken. Sehr viele Leute laufen ständig mit dem Smartphone herum, das ihnen als Erlebnisaufbewahrungsapparat dient; es ersetzt das wirkliche Leben. Diese Woche habe ich eine Gedenkfeier auf dem Friedhof besucht, die nach meinem Empfinden dadurch entwürdigt wurde, dass aus allen Ecken und Enden die Smartphones aufblitzten.

Nun sollen Menschen es immerhin zur Anklage bringen können, wenn sie sich durch andere belästigt fühlen, die bewusst das sexuell konnotierte Hinterteil im Visier ihrer Kamera haben. Das finde ich richtig. Allerdings ist es nicht das Gesäß, welches die Individualität des Menschen beschreibt, sondern sein Gesicht! Wenn ich nun aber dafür eintreten würde, dass mein Gesicht auf Fotografien, denen ich nicht zugestimmt habe, verpixelt werden müsste, stieße ich auf großes Unverständnis. Die „digitale“ Gesichtserkennung wird von allen möglichen kommerziellen Unternehmen eingesetzt. Viele denken, sie würden ihr Smartphone dadurch vor feindlichen Zugriffen schützen können; in Wirklichkeit verkaufen sie ihr Gesicht an alle möglichen Agenturen, von denen sie gar nichts wissen. Schließlich wird der Staat den Zugriff darauf verlangen, wenn er ein allgemeines Interesse vorschützen kann.

Meiner Ansicht nach sollte es erlaubt sein, sich das Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum herauszunehmen. „Zeige, oh, zeige dein Gesicht nicht / Sondern / Verwisch die Spuren!“ schreibt Bertolt Brecht.

Die deutsche Atomkraft und die griechische Post

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Ein Erdbeben in Japan führte dazu, dass die deutsche Bundesregierung beschloss, den Betrieb technischer Anlagen mittels Atomkraft zu untersagen. Das ist nicht ganz richtig: Die Fortführung der atomaren Energiewirtschaft wurde zwar unterbunden, weiterhin gibt es in unserem Land jedoch staatlich betriebene Forschungsreaktoren und außerdem, von einem französischen Unternehmen angeführt, die kommerzielle Fertigung von Brennelementen zur Verwendung in Leichtwasserreaktoren, die in aller Welt gebraucht werden; das dazu erforderliche radioaktive Material wird immer noch aus Russland importiert, denn die Sanktionierung der russischen Atomindustrie vermochte die Regierung der Französischen Republik stets zu verhindern.

Gebraucht werden Atomkraftwerke fortan, um die riesigen Rechenzentren mit der Energie auszustatten, welche zum Ausschütten der Ergebnisse Künstlicher Intelligenz nötig ist. Ohne die KI-generierten Informationen, die regelkonformes Verhalten gewährleisten sollen, wären wir arm dran, behaupten die herrschenden Klassen in allen hochindustrialisierten Ländern der Welt.

Arm dran sind jetzt allerdings die Mitarbeiter der griechischen Post, die über Nacht entlassen worden sind; ein Fünftel der Filialen wird geschlossen, heißt es, da viele Tätigkeiten, welche die Staatsangestellten erledigten, nun höchsteffizient maschinell zu erfüllen seien. Die Schlangen der Senioren, die sich immer noch monatlich ihre Pensionen am Postschalter auszahlen ließen, würden zwar kurzfristig um zwanzig Prozent länger werden, mittelfristig löse sich dieses mathematische Problem aber auf biologische Weise.

Immer weniger Menschen „nutzten“ die Dienstleistungen der Postfilialen, heißt es auch hierzulande; was der Begriff des „Nutzers“ besagen soll, wäre eine eigene Analyse wert. Da ich noch über eine Menge von 85-Cent-Briefmarken verfüge, das Briefporto inzwischen aber 95 Cent beträgt, nahm ich mir vor, einen Schwung 10-Cent-Marken in einer Postfiliale zu erwerben; dort wurde mir gesagt, so etwas sei nur noch auf digitalem Wege möglich.

Für Pasolini

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Heute denke ich an Pier Paolo Pasolini, der vor fünfzig Jahren ums Leben kam. In seinen Freibeuterschriften (Wagenbach, 13 Euro) wird die Spannkraft seines Denkens deutlich von der Betrachtung ökologischer Verwerfungen wie der Lichtverschmutzung bis zur Kritik der globalen Kulturindustrie, welche zur Auslöschung lokaler Sprachgemeinschaften führte. Womöglich würde Pasolini heutzutage als ein Populist wirken.

In einem Disput mit seinem Kollegen Italo Calvino, den ich immer wieder gerne zitiere, bezeichnete er es als „unselig“, was dieser schrieb: „Die jungen Faschisten von heute kenne ich nicht, und ich hoffe auch, dass ich keine Gelegenheit haben werde, sie kennenzulernen.“

Pasolini entgegnete: „Der Wunsch, nie junge Faschisten kennenlernen zu wollen, ist eine Lästerung, denn wir sollten, im Gegenteil, alles tun, um sie zu finden und mit ihnen zu sprechen. Sie sind nämlich nicht vom Schicksal auserwählte und prädestinierte Ausgeburten des BÖSEN: Sie sind nicht geboren worden, um später Faschisten zu werden. Niemand hat ihnen, als sie halbwegs erwachsen und im Stande waren, sich zu entscheiden  — aus Gründen und Zwängen heraus, die wir nicht kennen — rassistisch das Brandmal des Faschisten aufgedrückt. Was einen jungen Menschen zu dieser Entscheidung treibt, ist eine Mischung von grenzenloser Verzweiflung und Neurose, und vielleicht hätte eine kleine andersartige Erfahrung in seinem Leben, eine einzige simple Begegnung genügt, um sein Schicksal anders verlaufen zu lassen.“

Überall sind Menschen, die kämpfen und irren, lieben und hassen und von den Ideologien sich verderben lassen. Pasolini wünschte, dass der Mensch zu seinem (vielleicht animalischen) Ursprung zurückfinde, zur puren Lebendigkeit.

Verrückt

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Einige Leute, also vor allem gut situierte, tragen die Sprechblase vor sich her, sie erwägten aus Deutschland auszuwandern, weil die Zustände hier immer unerträglicher würden. Denen entgegnete ich gerne, dass die Tendenz nach Rechts in unserem Parteiensystem immer noch weniger stark ausgeprägt sei als in allen unseren Nachbarländern (außer Luxemburg).

Das Auftreten der sogenannten AfD hat immerhin den Vorteil, dass man die Positionen der Rechten nun erkennen kann und sich davon distanzieren, wenn man sich mit dem durchaus mangelhaften demokratischen Rechtsstaat arrangiert hat.

Man sollte auch nicht davon absehen, die Verrücktheiten der herrschenden politischen Klasse zu kritisieren, weil durch diese Kritik die Rechten Wasser auf ihre Mühlen bekommen könnten. Verrückt ist nun die Geltung des neuen Tariftreuegesetztes: Dieses ist gut gemeint, denn Firmen, die Ihre Angestellten anständig behandeln, verdienen es durchaus, bei der Vergabe staatlicher Aufträge bevorzugt zu werden. Ausgerechnet für das militärische Beschaffungswesen gilt dieses Gesetz jedoch nicht! Damit wird doch suggeriert, dass das Gesetz die Auftragsvergabe verzögere; es kommt einem wie eine lästige Pflichtübung vor. Die Aufrüstung wird nun also forciert, da unser Vaterland mit dem russischen Imperialismus konfrontiert gilt; wenn Munitionsfabriken aus dem Boden gestampft und Bundeswehrkasernen in Schnellbauweise errichtet werden, stört die Tariftreue sehr.

Ich finde das verrückt. Aber vielleicht bin ich auch verrückt.

Wozu noch ein Buchladen?

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Konrad Paul Liessmann schreibt: „Es wird uns nichts anderes übrigbleiben, als im digitalen Raum mit einem Wirklichkeitsvorbehalt zu arbeiten. In Zukunft wird es vielleicht notwendig sein, zuerst anzunehmen, dass alles, was uns über digitale Medien erreicht, fingiert sein kann.“ („Was nun?“, Zsolnay, 25 Euro). 

Das gute alte Radio, nämlich der Deutschlandfunk, hat dieser Tage ein Gespräch mit dem Leseforscher Christian Dawidowski gebracht, der als Professor an der Universität Osnabrück mit der Ausbildung von Lehramtsstudenten betraut ist. Er sagt: Die staatlich geförderte „Digitalisierung“ führt zu einer neuen Normalität; als Absolvent kommt man damit durch, Deutschlehrer zu werden, ohne überhaupt noch ein Buch durchgelesen zu haben. Zur Bewältigung wissenschaftlicher Literatur gibt es inzwischen Programmierungen, die diese in sogenannte Podcasts umwandeln. Man kann von keinem Deutsch Studierenden erwarten, einen „Wilhelm Meister“-Roman von Goethe oder gar Thomas Manns „Zauberberg“ gelesen zu haben. Alle Vorhaben, die Lesefähigkeit der Heranwachsenden zu fördern, sind auf ernüchternde Art versandet, sagt der Professor. 

Die Idee, dass das Buch eine Welt darstellt, die den Leser in seiner Selbstwahrnehmung erschüttert, ist tot. Der Nutzwert der Informationsaufnahme soll nun die Selbstoptimierung sein, und die von US-amerikanischen und chinesischen Unternehmungen betriebene „Digitalisierung“ ist das Vehikel dafür. Wir befinden uns im Zeitalter der Simulation reiner Gegenwart; was plötzlich auf dem Smartphone aufploppt, ist das Entscheidende und verdrängt alle historischen Hintergründe. 

Leider tun (um auf den Buchhandel zu kommen) die Buchkonzernverlage alles dazu, diesen Trend zu fördern. Ich will bloß erwähnen, dass inzwischen jedes Jahr die gleichen Bücher der Autorennamen Florian Illies und Richard David Precht und Ferdinand von Schirach als angebliche Neuheiten und mit den roten Bestselleraufklebern erscheinen. Derlei Machenschaften machen den Betrieb eines Buchladens überflüssig. 

Die wirklich kreativen Bücher hingegen verschwinden nach wenigen Monaten vom Markt. Vor fünf Jahren erschien die deutschsprachige Version der sensationellen Erkundungen des Klarinettisten David Rothenberg über die Nachtigallen in Berlin; ich habe noch ein Exemplar des vergriffenen Bandes hier (Rowohlt, 26 Euro). 

Darin äußert der Autor die folgenden Gedanken: „Je futuristischer wir werden, desto mehr überleben wir uns und schaffen etwas, das veraltet. Mir macht Sorgen, ob Technisches nicht zu schnell alt klingen wird. Wir mögen den Lärm. Wir ziehen ihn reinen Tönen vor, die unsere Synthesizer ebenfalls hinkriegen. Warum ist das so? Weil wir selber unrein sind. Nur unsere Gedanken bringen Kreise, Rechtecke und Dreiecke in Reinform hervor, die reale Welt jedoch tritt uns mit der Unschärfe des Ungleichmäßigen entgegen. Mit Makeln, mit Staub, Schmutz und Dreck. Eine Oberfläche ist niemals vollkommen rein, keine menschliche Stimme klingt wie genau eine andere. Deswegen müssen wir alle singen.“ 

John Updike schreibt in seinen tollen „Erinnerungen an die Zeit unter Ford“ (Rowohlt, 8,50 Euro): „Wahrlich, unser Leben ist wie das Universum: nichts geht verloren, alles erfährt nur eine Umwandlung auf der Rutschbahn zur Unordnung hin.“ Wenn der Mensch etwas tut, dann soll es schiefgehen können. 

Wohin des Wegs?

Von , am in vorgestellt

In meiner gestrigen Lesung in der ProCurand-Seniorenresidenz ging es um nichts weniger als die Glücksfähigkeit des Menschen und daher den Wunsch nach Lebendigkeit. Ich beschloss sie mit einer Anekdote aus Friedrich Torbergs „Erben der Tante Jolesch“.

„Sie spielt in einer kleinen östlichen Judengemeinde, genauer: auf der Landstraße, die zum nächsten größeren Ort führt. Dort wird jeden Donnerstag der Wochenmarkt abgehalten, und eines solchen Donnerstags strebt wieder einmal ein Handelsmann mit seinem Pferdewagen dem Markt zu, wie üblich in aller Herrgottsfrühe. Wie keineswegs üblich, sieht er plötzlich auf der staubigen Straße den Zadik dahinschreiten, den anerkannten Gerechten der Gemeinde. Sofort hält er sein Pferdchen an, beugt sich hinunter und fragt erstaunt:

‚Wohin des Wegs, Zadik?‘

‚Zum Wochenmarkt nach Pupidowka‘, lautet die Antwort.

Noch um einiges erstaunter kommt des Handelsmanns nächste Frage:

‚Wozu? Was sucht ein Zadik auf dem Wochenmarkt in Pupidowka?‘

Und es antwortet der Zadik:

‚Vielleicht find’t sich eine Fuhr‘ zurück.‘“

Am Montag, dem 8. Dezember, um 16 Uhr werde ich in die Bölschestraße 37 zurückkommen, um wieder etwas Erbauliches vorzulesen. Lassen Sie sich überraschen!