Am heutigen Tag bringt die FAZ „das Lob aller, welche die vollständige Entkörperlichung – ‚Digitalisierung‘ – der Kulturgüter mit größtem Misstrauen betrachten“; der Anlass zu diesem Lob ist der Versuch einer Münchnerin, das Musik-CD-Archiv des Bayerischen Rundfunks vor seiner Vernichtung zu bewahren.
Auch in der Causa Zettelkatalog gibt es Neues. Der Herr der Staatsbibliothek in Berlin hat es sich einfallen lassen, im kommenden Februar ein Symposium zu veranstalten: „Zettelkataloge. Unantastbares Kulturgut, aktiver Forschungsgegenstand oder substituierbares historisches Arbeitsmittel?“
Da ich mich in diesem Jahr mit den Schriften von Karl Kraus („Das Karl Kraus Lesebuch“, Wallstein, 34 Euro) beschäftigt habe, sehe ich mich genötigt, einige unsystematische Einwände gegen die Überschrift dieses Symposiums vorzubringen.
Eine sprachliche Hervorbringung ist falsch, wenn sie überwältigend wirken will; da wird wortreich verdeckt, was eigentlich gesagt sein sollte. Man muss darangehen, als habe man eine Übersetzung aus einer Fremdsprache zu erstellen.
„Unantastbares Kulturgut“: Anfassen verboten! Hier handelt es sich um den Versuch, eine Ansicht lächerlich zu machen, die historische Artefakte für würdig erachtet, aufbewahrt zu werden. „Kulturgut“ heißt, dass keinem Zeitgenossen heute noch etwas Vernünftiges damit anzufangen einfiele. Als vernünftig gilt, was effizient ist, also einen größtmöglichen Nutzen mit den geringsten Kosten an Raum und Zeit erbringt.
„Aktiver Forschungsgegenstand“: Anfassen geboten! „Aktiv“ soll wohl den Gegensatz zu „unantastbar“ betonnen; dass etwas „passiv“ erforscht würde, davon hat man noch nicht gehört.
„Substituierbares historisches Arbeitsmittel“: Anfassen überflüssig! Überall stehen nun sogenannte E-Scooter herum; da findet die Kulturtechnik des Zu-Fuß-Gehens keine Anwendung mehr. Man besucht ja auch kein Restaurant mehr, da mithilfe diverser Essenslieferdienste die Nahrungsbeschaffung und -Nahrungsaufnahme bequem auf der heimischen Couch erledigt werden kann (siehe Emanuele Coccia: „Das Zuhause“, Hanser, 22 Euro). Das Wort „historisch“ steht hier für „überkommen“.
Was aber soll das Wort „oder“ bedeuten? Falls es sich bei den drei Schlagworten um Alternativen handelte, müsste das Wort „oder“ zweimal dastehen. Da es aber gar nicht um sich ausschließende Thesen geht, kann es entfallen. Ich denke an die Bibel, die ein Kulturgut ist und zugleich ein Forschungsgegenstand; zudem bleibt sie unersetzlich für den Pfarrer beim Verfassen seiner Sonntagspredigt.
Wenn man einmal nicht weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis. Stellt man sich besonders dumm, wird es ein Symposium.