Von Föhren und Eis

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Nicht jeder kann einen weltbedeutenden Vertreter der Hochliteratur und Nobelpreisträger zugleich einen Heimat-Dichter nennen. Wir Friedrichshagener können das — mit einiger, nicht nur gefühlsmäßiger, Berechtigung — tun. Gerhart Hauptmanns wegen. Unsere schöne märkische Heimat ist es gewesen, die ihm, dem großen Naturalisten, die ersten Stoffe lieferte.

Der aus Schlesien stammende, bereits im Kindesalter als „fabulierfreudig“ bekannte Gerhard, damals noch mit d, entwickelte schon als Schüler eine Abneigung gegen Härte, Zwänge und Anforderungen seiner wilhelminischen Gegenwart. In der Realschule, die er ab 1874 in Breslau besuchte, schloss er sich einem Jünglingsbund an, der utopische Pläne zur Schaffung einer zwanglosen, freien Gesellschaftsordnung schmiedete und dessen Leitsatz „Rückkehr zur Natur!“ wohl den ersten Keim säte zur späteren Ansiedlung in unseren Gefilden. Nach begonnener Ausbildung zum Landwirt, der er körperlich nicht gewachsen war und während derer sich der junge Hauptmann ein Lungenleiden zuzog, das ihn lebenslang plagen sollte, mehrerer abgebrochener Studien und der Heirat mit der begüterten Marie Thienemann, zog er erst nach Berlin-Moabit, und endlich — auf Anraten seiner Ärzte, da er, der Lungenkranke, die Großstadtluft nicht vertrug — nach Erkner! Zurück in die Natur!  (mehr …)

Vom Abschneiden des Nazi-Schwanzes

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Im frühen Herbst des Jahres 1937 plant die TOBIS Filmkunst GmbH ein neues Projekt, nämlich dem Filmstar Emil Jannings, welcher schon länger Ausschau nach einer passenden Hauptrolle hält, diese Rolle maßgeschneidert auf den Leib schreiben zu lassen und tritt zu diesem Zweck in Verhandlungen mit dem Verleger Ernst Rowohlt. „Ein verfilmbarer Roman“ soll es werden, über „ein deutsches Schicksal“ einer „deutschen Familie von 1914 bis etwa 1933“. Schreiben soll ihn der in dieser Zeit äußerst beliebte Autor Hans Fallada, über den Joseph Goebbels nach der Lektüre des kürzlich erschienenen „Wolf unter Wölfen“ in sein Tagebuch schreibt: „Der Junge kann was!“ Fallada ist von diesem Lob nicht besonders angetan und notiert wiederum etwas bedrückt: “In die Sonne Goebbels’scher Gunst zu kommen — das scheint mir ein Ikarus-Schicksal.“ Die Verhandlungen finden Ende Oktober 1937 in Jannings‘ Suite im schmucken Berliner Hotel Kaiserhof statt. Fallada fand: „Die Besprechungen waren langweilig, aber sie gaben mir Gelegenheit, den Menschen E.J. ein wenig näher kennenzulernen, und das machte mir aufrichtiges Vergnügen!“ Jannings begeistert sich für die Figur des Berliner Droschkenkutschers Gustav Hartmann, der in den vergangenen Jahren Schlagzeilen als „Eiserner Gustav“ gemacht hatte, und schlägt dies als Titel vor. Man einigt sich auf die stolze Summe von 30 000 Reichsmark allein für die Verfilmung, zusätzlich zu den Einkünften aus den Buchverkäufen, aber auch auf ein sehr rasches Abgabedatum: 28. Februar 1938. (mehr …)

Die Panik der Kreatur

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Es gibt Bücher, die laufen irgendwie unter dem Radar. Nicht großartig beworben, nicht vom Verlag gehypt, von der Kritik weitestgehend unbemerkt, unbesprochen, stehen sie still, unaufdringlich und bescheiden zwischen hundert anderen im Regal in der Buchhandlung und harren derer, die sie beim ziellosen Stöbern bemerken mögen, einem Impuls folgend mitnehmen und dann für immer lieben.

Einzelgänger Männlich ist ein solches Buch.

Bereits 1939 erstmals veröffentlicht und in der Folge immer mal wieder aufgelegt, ist mir seine Existenz bis zum Jahr 2018 verborgen geblieben, als ich es erstmals in die Hand nahm, angezogen, fasziniert von dem Kopf eines Mannes mit schreckgeweiteten Augen und angstvollem Blick, gemalt im Stil alter Filmplakate oder reißerischer Groschenromane, der den Umschlag des Buches ziert.

Seitdem geht dieses von mir erworbene, am Stück verschlungene – inzwischen sicher schon vollkommen zerlesene – Exemplar von Hand zu Hand, weil jeder, der es mit angehaltenem Atem an einem Abend durchgelesen hatte, es mit einem Ausruf der Begeisterung an einen Freund oder eine Freundin weitergegeben hat. (mehr …)

Dem Leben ausgeliefert

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42482Wer sich für Menschen interessiert, der beginnt irgendwann zwangsläufig, sich auch für deren (Straf-)Taten zu interessieren, denn nirgendwo tritt das Menschliche im Menschen so unmaskiert, deutlich und unverstellt zu Tage, wie in seinen Verbrechen. Das wusste auch Uwe Nettelbeck, ehemals Reporter für die Zeit, in dessen Gerichtsberichten man nicht nur von so spektakulären Prozessen wie den gegen den „Kirmesmörder“ Jürgen Bartsch oder den Brandstifterprozess gegen Andreas Baader und Gudrun Ensslin liest; man liest von Menschen, geprägt von der Zeit, in der sie leben, und dem Leben ausgeliefert, das sie haben. (mehr …)

Am 16. Juni ist Bloomsday

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45816Der Tag, an dem im Jahre 1904 Leopold Bloom durch Dublin geht und diese Stadt erlebt. Im „Ulysses“. Von Joyce.

„Waaas? Dieses Buch spielt an EINEM Tag?? Das ist ja so dick!“ so fragt mein Sohn.

Ja, 1014 ½ Seiten liegen einem hier vor – Dünndruck. In früheren Ausgaben sind es fast 1600.

„Wie ist das möglich? Ist das nicht langweilig?“ (mehr …)

„Abenteuer/P18“ oder: „3 Küsse, 4 Backenzähne und eine Hochzeit beim Papst“

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„Noch einmahl sattelt mir den Hippogryfen, ihr Musen, / Zum Ritt ins alte romantische Land!“

Wer sich traut, dem Dichter, der nach eigener Aussage von einem „holden Wahnsinn“ befallen ist, auf dieser phantastischen Reise zu folgen, der bekommt – schon die ersten sieben Strophen dieses Versepos beleuchten, was danach entfesselt wird – eine Rittergeschichte zu hören, die keine Wünsche offen lässt:  (mehr …)

Eine Stimme gegen das Vergessen

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„Freuds Schwester“ ist nicht das erste Werk des hierzulande noch wenig bekannten, aber durchaus beachtenswerten mazedonischen Autors Goce Smilevski, der, 1975 in Skopje geboren, in Prag und Budapest Kulturwissenschaften studierte; es ist 2011 mit dem European Union Prize for Literature ausgezeichnet und in dreißig Sprachen übersetzt worden. Es ist die fiktive Autobiografie einer von Sigmund Freuds vier Schwestern, der kinderlosen, unverheirateten Adolfine. (mehr …)