Selbstwahrnehmung, Welterfahrung

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Was Sie auf diesen Seiten lesen, soll Sie dazu anspornen, meine Buchhandlung zu besuchen. So wünsche ich es mir. Ihr Aufenthalt in der Buchhandlung soll ein Bildungserlebnis sein, im besten Falle auch für mich. Die Begriffe der alten Welt, sich mit Dingen befassend Gedanken auszudrücken, sind hier gegenwärtig.

Die Parallelwelt am Computer spiegelt eine Wirklichkeit vor. Ob ein Haufen Informationen das welthaltige Wissen ersetzen kann, ist die Frage. 

Antworten bringt das Buch POSTDIGITAL des Musikers und Philosophen Peter Schmitt. Es lässt uns das Diktat der Digitaliserung erfassen, den Menschen immer weniger humanistisch-reflexiv und dafür mehr technisch-effizient auszubilden. Sich auf der feinpixelig geschmeidigen Oberfläche zurechtzufinden, wird aktuell als Medienkompetenz gelehrt. Somit aber degenerieren wir nicht nur zu Analphabeten der Schriftsprache, sondern sind gleichzeitig Analphabeten der Programmiersprachen geworden.

Die Welt wahrnehmend sich selbst zu erfahren: dazu verhilft nur das Buch! 

Heimweh nach der Fremde

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Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch bezeichnete einmal seine Sehnsucht nach Welt, „nach Wolken über dem offenen Meer“, als Heimweh nach der Fremde. Xenophilie heißt die Liebe zu fremden Dingen und Menschen, die wir durch Reisen erfüllen können. 

Aus der Schweiz kommt ein Buch, welches uns dazu verhelfen kann, das Eigene als Fremdes wahrzunehmen. Der Reiseführer des Zufalls bietet zahllose Anregungen zum spontanen Verreisen. Er ist in jeder Stadt der Welt anwendbar.

Wie aufregend es ist, in der eigenen Stadt unterwegs zu sein und die Muster der Fassaden wahrzunehmen, Spiele von Licht und Schatten und eine Unmenge von Gegenständen, die achtlos weggeworfen scheinen!

„Finde etwas und erfinde eine abenteuerliche Geschichte dazu“, heißt ein Hinweis aus diesem Buch. Und denke daran, dass du zufällig hier bist.

Alles lecker

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Walter Kempowski, ein Meister der Sottisen, vertraute am 9. März 1991 in Nartum seinem Tagebuch an: Wegen „Sonnabend“ und „tschüs“ hassen uns die Süddeutschen. Gegen „gell“ habe ich nichts. Bei „lecker“ scheiden sich die Geister. 

Was zu der Frage führen mag, ob in Norddeutschland kein Hafer mehr wächst. Stefan Gärtner hat einmal Hafermilch probiert, die aus „lokalem Anbau“ italienischer Bio-Landwirtschaft herbeigekarrt wurde; die ist, steht auf der Packung, „für dich, für die Umwelt, für den leckeren Geschmack“. Er nimmt dann das Wort „lecker“ zum Anlass einer Analyse zeitgenössischen Sprachgebrauchs: weil sie so schön nach Kindermund und -seligkeit klingen,  sind diese zwei Silben der Konsumdemokratie zugeeignet, der wir uns tagtäglich beigeben. Akklamation ist der Grund der Terrorsprache, welche Gärtner in seinem Wörterbuch des modernen Unmenschen unter die Lupe nimmt. 

Wie wir uns (im wahrsten Sinne des Wortes) entmündigen, indem wir uns die Werbesprache zueigen machen, zeigt der Autor an weiteren Beispielen von „Alles gut“ bis „zeitnah“. Wenn ich „wir“ sage, mache ich schließlich Reklame für dieses reizvolle Buch.

Nun sage ich, denn ich bin ein Kind des Schwabenlandes, „tschüssle“ und auf Wiedersehen in meinem Buchladen, in dem ich Ihnen Gärtners Buch „gerne“ verkaufe. 

Von Föhren und Eis

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Nicht jeder kann einen weltbedeutenden Vertreter der Hochliteratur und Nobelpreisträger zugleich einen Heimat-Dichter nennen. Wir Friedrichshagener können das — mit einiger, nicht nur gefühlsmäßiger, Berechtigung — tun. Gerhart Hauptmanns wegen. Unsere schöne märkische Heimat ist es gewesen, die ihm, dem großen Naturalisten, die ersten Stoffe lieferte.

Der aus Schlesien stammende, bereits im Kindesalter als „fabulierfreudig“ bekannte Gerhard, damals noch mit d, entwickelte schon als Schüler eine Abneigung gegen Härte, Zwänge und Anforderungen seiner wilhelminischen Gegenwart. In der Realschule, die er ab 1874 in Breslau besuchte, schloss er sich einem Jünglingsbund an, der utopische Pläne zur Schaffung einer zwanglosen, freien Gesellschaftsordnung schmiedete und dessen Leitsatz „Rückkehr zur Natur!“ wohl den ersten Keim säte zur späteren Ansiedlung in unseren Gefilden. Nach begonnener Ausbildung zum Landwirt, der er körperlich nicht gewachsen war und während derer sich der junge Hauptmann ein Lungenleiden zuzog, das ihn lebenslang plagen sollte, mehrerer abgebrochener Studien und der Heirat mit der begüterten Marie Thienemann, zog er erst nach Berlin-Moabit, und endlich — auf Anraten seiner Ärzte, da er, der Lungenkranke, die Großstadtluft nicht vertrug — nach Erkner! Zurück in die Natur!  (mehr …)

Zwitschern macht froh

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Eine wissenschaftliche Studie hat kürzlich den Zusammenhang zwischen der Vogelvielfalt und der Zufriedenheit der Menschen untersucht. Da in unserer Welt das Geld zählt, beziffern die Forscher des Senckenberg-Instituts für Biodiversität und Klima das Resultat ihrer Untersuchung wiefolgt: 14 Vogelarten mehr im Umfeld machen mindestens genauso zufrieden wie 124 Euro monatlich mehr auf dem Haushaltskonto, wenn man von einem durchschnittlichen Einkommen in Europa von 1237 Euro pro Monat ausgeht.

Für 10 Euro bekommen Sie ein Buch mit CD, was Ihnen mehr Glück als Verstand verspricht. Prof. Peter Berthold, hochangesehener Ornithologe und Vogelschützer, stellt darin die häufigsten einheimischen Vögel und ausgewählte seltene Arten vor, es handelt sich insgesamt um 51 verschiedene Vogelarten! Berthold erzählt interessante Fakten über jede Art und beschreibt deren Rufe und Gesänge nicht nur, sondern zwitschert die typischen Laute dazu; anschließend ist der echte Vogelgesang zu hören.

Wenn Sie sich also einen Glückszuwachs verschaffen wollen, welcher der Wirkung einer Gehaltserhöhung von 370 Euro entspricht, dann lernen Sie so gut zu zwitschern wie es die Vögel können; am besten auf dem Balkon, wenn Ihnen einer zur Verfügung steht.

Vom Abschneiden des Nazi-Schwanzes

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Im frühen Herbst des Jahres 1937 plant die TOBIS Filmkunst GmbH ein neues Projekt, nämlich dem Filmstar Emil Jannings, welcher schon länger Ausschau nach einer passenden Hauptrolle hält, diese Rolle maßgeschneidert auf den Leib schreiben zu lassen und tritt zu diesem Zweck in Verhandlungen mit dem Verleger Ernst Rowohlt. „Ein verfilmbarer Roman“ soll es werden, über „ein deutsches Schicksal“ einer „deutschen Familie von 1914 bis etwa 1933“. Schreiben soll ihn der in dieser Zeit äußerst beliebte Autor Hans Fallada, über den Joseph Goebbels nach der Lektüre des kürzlich erschienenen „Wolf unter Wölfen“ in sein Tagebuch schreibt: „Der Junge kann was!“ Fallada ist von diesem Lob nicht besonders angetan und notiert wiederum etwas bedrückt: “In die Sonne Goebbels’scher Gunst zu kommen — das scheint mir ein Ikarus-Schicksal.“ Die Verhandlungen finden Ende Oktober 1937 in Jannings‘ Suite im schmucken Berliner Hotel Kaiserhof statt. Fallada fand: „Die Besprechungen waren langweilig, aber sie gaben mir Gelegenheit, den Menschen E.J. ein wenig näher kennenzulernen, und das machte mir aufrichtiges Vergnügen!“ Jannings begeistert sich für die Figur des Berliner Droschkenkutschers Gustav Hartmann, der in den vergangenen Jahren Schlagzeilen als „Eiserner Gustav“ gemacht hatte, und schlägt dies als Titel vor. Man einigt sich auf die stolze Summe von 30 000 Reichsmark allein für die Verfilmung, zusätzlich zu den Einkünften aus den Buchverkäufen, aber auch auf ein sehr rasches Abgabedatum: 28. Februar 1938. (mehr …)

Das Leben in seiner ganzen Fülle

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Abschiedsfarben heißt (nach Sommerlügen und Liebesfluchten) der neue Geschichtenband von Bernhard Schlink, und diese Farben sind alles andere als düster. Sein Olga-Roman hatte mich zuletzt formal nicht überzeugt, nun aber erkenne ich Schlink als unaufgeregten Autor in seiner schnörkellosen Sprache wieder. Der 75-Jährige vermag es, wie sonst eigentlich nur die großen Zeitgenossen der nordamerikanischen Literatur, in der Kurzgeschichte eine gesellschaftliche Symptomatik erkennen zu lassen, ohne jemals aufdringlich zu wirken. (Na gut, die Sex-Szenen erscheinen schablonenhaft, aber das ging mir bei James Salter auch schon so …)

Das Leid des Einzelnen geht im Leid der Welt nicht auf, das Unvorhersehbare ist es, was uns das Leben in seiner ganzen Fülle spüren lässt. (mehr …)

Die Panik der Kreatur

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Es gibt Bücher, die laufen irgendwie unter dem Radar. Nicht großartig beworben, nicht vom Verlag gehypt, von der Kritik weitestgehend unbemerkt, unbesprochen, stehen sie still, unaufdringlich und bescheiden zwischen hundert anderen im Regal in der Buchhandlung und harren derer, die sie beim ziellosen Stöbern bemerken mögen, einem Impuls folgend mitnehmen und dann für immer lieben.

Einzelgänger Männlich ist ein solches Buch.

Bereits 1939 erstmals veröffentlicht und in der Folge immer mal wieder aufgelegt, ist mir seine Existenz bis zum Jahr 2018 verborgen geblieben, als ich es erstmals in die Hand nahm, angezogen, fasziniert von dem Kopf eines Mannes mit schreckgeweiteten Augen und angstvollem Blick, gemalt im Stil alter Filmplakate oder reißerischer Groschenromane, der den Umschlag des Buches ziert.

Seitdem geht dieses von mir erworbene, am Stück verschlungene – inzwischen sicher schon vollkommen zerlesene – Exemplar von Hand zu Hand, weil jeder, der es mit angehaltenem Atem an einem Abend durchgelesen hatte, es mit einem Ausruf der Begeisterung an einen Freund oder eine Freundin weitergegeben hat. (mehr …)

Die Träume der anderen

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In diesem Roman gibt es einen Felix; der ist aber kein glücklicher Mann, vielmehr quält er mit seiner unerforschlichen Schwermut seine Mitmenschen und verfällt zusehends dem Alkohol. Ich fürchte, ich könnte so sein wie dieser.

Jedoch zittere ich, träume zuweilen und leide vor allem mit der jungen Clare, meinem Lebensmenschen in diesem Roman. Sie ist diejenige, die bereit zu sein scheint, sich aller Bürden des Alltags zu entledigen, um ihre Freiheit als Frau zu erlangen. Sie beobachtet die Welt und staunt, wie die Menschen darin überleben können. Welche Monstrosität: das Gewusel auf den Straßen, das sich unwillkürlich ergibt, da sich jede und jeder um sein eigenes Fortkommens sorgt. (mehr …)